Daten sind das Gold unseres Zeitalters. Bei der ÖPNV-Planung leisten sie einen wesentlichen Beitrag dazu, dass Angebotsveränderungen im Sinne der Fahrgäste geplant und umgesetzt werden. Doch wie genau sind ÖPNV-Reisende unterwegs? Wer fährt wann wohin? Wie viele Nutzer:innen warten wo wie lange auf Anschlüsse? Welche Route wählen Fahrgäste? Die Verknüpfung von Daten aus der Automatischen Fahrgastzählung (AFZ) und dem Automatischen Ticketing (AT) oder auch In/Out-Ticketing liefert Antworten auf diese und weitere Fragen– und das detailliert, aktuell und mit geringem Erhebungsaufwand.
„Die Fusion von Daten aus der Automatischen Fahrgastzählung und dem Automatischen Ticketing ist bahnbrechend für die Verkehrsplanung“, sagt Joe Molloy, der als einer der führenden Datenexperten bei FAIRTIQ das Pilotprojekt „AFZ💖AT“ begleitet hat. Sein Kollege Simon Weber ergänzt: „Bislang ist es für Verkehrsunternehmen nicht möglich, die gesamte Reisekette aller Passagiere detailliert nachzuvollziehen. Durch die Verschmelzung der Daten aus AFZ und AT können wir jetzt sehr viel besser verstehen, wie sich die Fahrgäste im Netz bewegen.“
Die gewonnenen Erkenntnisse liefern präzise Planungsgrundlagen unter anderem für die Routenplanung und die Optimierung von Umsteigeverbindungen. Dashboards ermöglichen es, Reiseketten über die Zeit zu beobachten und zu vergleichen. Dadurch können die Effekte von Angebotsänderungen konkret abgebildet und der Erfolg von Marketing-Aktionen gemessen werden. Und auch für die Einnahmeaufteilung bietet die Verbindung von AFZ- und AT-Daten eine detailliertere Basis.
In den meisten Verkehrsunternehmen und -verbünden sind Automatische Fahrgastzählsysteme in Fahrzeugen und Stationen des ÖPNV bereits vorhanden. Auf der Basis von AFZ-Daten lässt sich feststellen, wie viele Menschen an einer Station in Verkehrsmittel einsteigen oder aussteigen – aber nicht, wie sie dorthin kommen, in welche Verkehrsmittel sie umsteigen, wie lange sie dabei warten müssen etc. Fahrgastbefragungen sollen diese Lücke schließen, sie sind jedoch aufwändig und liefern nur begrenzte Stichproben.
Das Automatische Ticketing mit der innovativen Check-in/Check-out Technologie von FAIRTIQ ermöglicht es, Reiseketten detailliert nachzuvollziehen, inklusive Wechsel zwischen den Verkehrsmitteln und Wartezeiten. Allerdings war die Aussagekraft der Daten bislang begrenzt auf den Anteil der Fahrgäste, die mit der FAIRTIQ-App unterwegs sind.
Durch die Verschmelzung der Daten aus beiden Quellen werden die Stärken der AFZ-Daten (Quantität) und der AT-Daten (hohe Detailierung) optimal genutzt, während die Schwächen sich gegenseitig aufheben.
Die Zusammenführung der Daten vollzieht sich in drei Schritten. Im ersten Schritt werden zunächst die vom Verkehrsunternehmen oder Verbund gelieferten Daten aus der Automatischen Fahrgastzählung ausgelesen und ausgewertet.
In Schritt zwei vergleicht das Data Science Team von FAIRTIQ diese mit den Daten des Automatischen Ticketings aus der FAIRTIQ-App – und das in Raum und Zeit. Bezüglich der räumlichen Übereinstimmung wird beispielsweise geprüft, ob Stationen, die laut AFZ-Daten von vielen Fahrgästen genutzt werden, auch eine hohe Anzahl von FAIRTIQ-App-Nutzer:innen aufweisen. Bei der zeitlichen Passfähigkeit wird ebenfalls darauf geachtet, dass die Muster beider Datensets übereinstimmen. So sollten beispielsweise Schwankungen der Fahrgastnachfrage zwischen Wochentagen oder Jahreszeiten in einem vergleichbaren Umfang abgebildet werden.
In Schritt drei erfolgt die Skalierung der AT-Daten auf AFZ-Niveau. Da (noch) nicht alle Reisenden mit der FAIRTIQ-App unterwegs sind, werden in den AT-Datensätzen grundsätzlich weniger Fahrten abgebildet als in den AFZ-Datensätzen. Das Verhältnis von AT- zu AFZ-Daten kann zwischen den Stationen unterschiedlich sein. Je nachdem, wie stark die Abweichung an den einzelnen Stationen ist, unterscheiden sich auch die jeweiligen Skalierungsfaktoren. Die Berechnung erfolgt über einen speziellen Algorithmus. Dessen Aufgabe lautet: Finde für jede Reisekette einen Skalierungsfaktor für die AT-Daten, sodass das Ergebnis im Einklang mit allen AFZ-Daten steht.
Seit dem zweiten Quartal 2023 erprobt FAIRTIQ das Vorgehen in drei Pilotprojekten mit Entwicklungspartnern in der Schweiz. Dabei hat sich gezeigt, dass die Verschmelzung funktioniert und zu validen Aussagen führt. Als einzige Voraussetzung müssen beide Datenquellen vorhanden und auslesbar sein. Die AFZ-Daten werden durch die Verschmelzung mit dem Automatischen Ticketing zusätzlich in Wert gesetzt. Neue Hardware ist nicht erforderlich. Für die Erhebung der AT-Daten gilt: Je mehr Nutzer:innen mit der FAIRTIQ-App unterwegs sind, desto besser. Laut Joe Molloy lassen sich aussagekräftige Ergebnisse jedoch bereits bei Marktanteilen der FAIRTIQ-App von zwei bis drei Prozent erzielen.
Wer mit Daten arbeitet weiß: Beim Abgleich von Datensets aus unterschiedlichen Quellen kommt es oft zu Überraschungen. Laut Simon Weber ist die überraschendste Erkenntnis bei der Verschmelzung von AFZ- und AT-Daten bislang, wie reibungslos der Abgleich funktioniert. „Natürlich gibt es auch Herausforderungen, beispielsweise wenn die AFZ-Daten nicht vollständig sind und dadurch die Skalierung erschwert wird. Doch bislang ist es uns stets gelungen, für alle Probleme eine Lösung zu finden.“ Der Datenexperte findet es erstaunlich, wie gut die Verteilung der FAIRTIQ-Nutzer:innen im Netz zum Gesamtaufkommen der Reisenden passt. Mit dieser positiven Einschätzung zur Passfähigkeit steht er nicht allein da. Auch die Partner aus den drei Pilotprojekten in der Schweiz bestätigen die hohe Güte und Plausibilität der korrelierten Daten.
Auf Basis der fusionierten Daten lassen sich vollständige Quelle-Ziel-Matrizen erzeugen. Die Ergebnisse können anschaulich und praktikabel auf interaktiven Quelle-Ziel-Karten und Dashboards dargestellt und so für die Entscheidungsfindung nutzbar gemacht werden. Die AT-Daten aus der FAIRTIQ-App werden täglich aktualisiert. Die Lieferung der AFZ-Daten ist demgegenüber in der Regel verzögert. Ein automatisierter Zugriff könnte für Straffung sorgen und Updates für das gesamte Netz vierteljährlich oder sogar wöchentlich ermöglichen. Damit hätten Planende und Entscheidungsverantwortliche stets einen aktuellen Einblick in das Fahrgastgeschehen im Netz – und die Möglichkeit, das „Datengold des ÖPNV“ kontinuierlich und gewinnbringend im Sinne der Fahrgäste einzusetzen.