Eine kürzlich veröffentlichte Studie von McKinsey stellt fest: Nur 22% aller europäischen Tech-Jobs sind von Frauen besetzt. Im folgenden Artikel erfahren Sie mögliche Gründe für den weiblichen Fachkräftemangel in der Branche und lesen im Interview mit der FAIRTIQ Projektmanagerin Sarah Collard über ihre Erfahrungen und Einstellungen zu dem Thema.
Bis zum Jahr 2027 werden in Europa zwischen 1,4 und 3,9 Millionen Arbeitskräfte im Technologiesektor fehlen, in Deutschland allein werden 780.000 Fachkräfte benötigt. Derzeit reicht der männlich geprägte Talentpool nicht aus, um den steigenden Bedarf zu decken.
Laut McKinseys Studie könnte eine Verdopplung des Frauenanteils in Tech-Rollen auf 45% diesen Mangel nicht nur beheben, sondern auch das Bruttoinlandsprodukt Europas um 260 bis 600 Milliarden Euro steigern.
Die Gründe für diese Entwicklung liegen zum Teil in Stereotypen und falschen Wahrnehmungen der MINT-Fähigkeiten (MINT: Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) von Frauen und Mädchen. Schon in der Schule erfahren sie weniger Unterstützung in diesen Fächern und sind einem höheren Erwartungsdruck ausgesetzt. Zudem mangelt es an weiblichen Vorbildern in der Branche.
Unternehmen sollten daher die Bindung weiblicher Talente als einen wichtigen Leistungsindikator betrachten. Darüber hinaus können Unternehmen ihr Potenzial erweitern, indem sie Talente aus nicht-traditionellen Talentpools rekrutieren und ihre technologischen Fähigkeiten weiterentwickeln. (Hier finden Sie die Studie von McKinsey.)
Die meisten FAIRTIQ-Mitarbeiterinnen arbeiten, obwohl sie in technologiebezogenen Funktionen tätig sind, nicht als Ingenieurinnen - das möchte FAIRTIQ ändern und bemüht sich, dass sich alle potentiellen Kandidat:innen in den Jobbeschreibungen angesprochen fühlen. Das beginnt dabei, die Inserate geschlechtsneutral auszuschreiben sowie bei der Direktansprache darauf zu achten, dass gleich viele Frauen wie Männer angesprochen werden. Zudem achtet FAIRTIQ auf familienfreundliche Benefits wie “work from anywhere”, flexible Arbeitszeiten, 100% Mutterschaftsentschädigung und vieles mehr.
Verglichen mit der Technologie- und Mobilitätsbranche allgemein liegt die weibliche Repräsentation bei FAIRTIQ über dem Durchschnitt. Die meisten der FAIRTIQ-Teams haben einen hohen Frauenanteil. Im Projektmanager:innen-Team, dem auch Sarah Collard angehört, beträgt dieser sogar über 50%.
Im folgenden Interview berichtet Sarah Collard über ihre berufliche Laufbahn und ihre Sicht auf den Mangel an weiblichen Fachkräften in der Mobilitäts- und Techbranche. Sarah hat viele wertvolle Erfahrungen in stark von Männern dominierten Branchen wie der Automobil- und Flugzeugindustrie sammeln können. Mit reichlich Berufs- und Lebenserfahrung sowie einem einzigartigen Blick auf die Geschlechtergleichstellung im Arbeitskontext teilt Sarah ihre Perspektive im Interview.
FAIRTIQ: Sarah, wie bist du zu FAIRTIQ gekommen und was ist dein beruflicher Hintergrund?
Sarah Collard: Nachdem ich meinen Bachelor in Wirtschaftswissenschaften in der Schweiz an der Universität St. Gallen abgeschlossen hatte, bin ich für meinen Master in internationalem Management nach Dublin und Sydney und habe zwischen den beiden Studienabschnitten anderthalb Jahre lang im Marketing in der Automobil- und Flugzeugindustrie gearbeitet.
Da ich selbst mehreren Minderheiten angehöre, war ich schon immer sensibel dafür, wie Unternehmen mit Geschlechtergleichstellung, Vielfalt und Inklusion umgehen und wie sich dies auf die Arbeit und den Erfolg ihrer Mitarbeitenden auswirkt. Mein erstes Praktikum absolvierte ich bei der sehr männlich geprägten Mercedes-Benz Group AG, damals noch Daimler-Benz AG. Danach arbeitete ich in einem ähnlichen Bereich bei Swiss International Airlines in einem rein weiblichen Team. Während dieser beiden Erfahrungen erkannte ich bereits einige Unterschiede zwischen männlich und weiblich dominierten Arbeitsumfeldern, wie etwa Gehalt oder Anerkennung von Leistung.
Später arbeitete ich im Bereich Strategie und Innovation bei PostAuto in der Schweiz. In diesem Team waren Männer und Frauen gleichermaßen vertreten und die Leitung lag bei einer Frau. Diese Vielfalt ermöglichte viel Kreativität und Innovation.
Meine Zeit bei PostAuto war schlussendlich nicht so lang, weil ich die Möglichkeit hatte, mit einer Führungsrolle als Projektleiterin bei FAIRTIQ einzusteigen. Bei FAIRTIQ war ich zuerst Leiterin des Teams für Betrugsvorgänge und bin jetzt Leiterin der Projekte Neue Märkte.
FAIRTIQ: Hast du jemals gedacht, dass du in der Technologie- und Mobilitätsbranche arbeiten würdest?
Sarah Collard: Nicht wirklich. Während meines Studiums habe ich mich nie von einer bestimmten Branche angezogen gefühlt, aber es war klar, dass ich für große internationale Unternehmen arbeiten wollte. Obwohl ich nur grundlegende Programmierkenntnisse habe, fand ich es schon immer spannend, mit Ingenieur:innen zusammenzuarbeiten.
Darüber hinaus wollte ich nach meiner Zeit in der Automobil- und Flugzeugindustrie und dem festen Entschluss, mehr Richtung Nachhaltigkeit zu gehen, in einer Branche arbeiten, in der ich wirklich etwas Gutes für die Umwelt tue.
FAIRTIQ: Findest du, dass Frauen in der Tech- und Mobilitätsbranche unterrepräsentiert sind?
Sarah Collard: Definitiv. Ich erlebe, dass in 95% der externen Meetings, Konferenzen und Messen, an denen ich teilnehme, weniger Frauen als Männer vertreten sind. Ich denke, Technologie und Mobilität sind wahrscheinlich eine ungünstige Mischung für Geschlechtergleichstellung. Frauen sind in der Technologie klar unterrepräsentiert, da technische Positionen viel stärker von Männern dominiert werden.
FAIRTIQ: Welche Gründe könnte es deiner Meinung nach dafür geben?
Sarah Collard: Ich glaube, dass Frauen lange Zeit nicht ausreichend ermutigt wurden, einen Abschluss in der Techbranche zu erlangen, wahrscheinlich, weil die Vorstellung war, dass Männer besser für solche Jobs geeignet seien. Dies führte dazu, dass die Branche von Männern aufgebaut und überwiegend von Männern geführt wurde, was den Einstieg für Frauen erschwerte. Es fehlen weibliche Vorbilder in der Branche, von denen sich junge Frauen inspirieren lassen können. Studien ergaben, dass viele Manager bevorzugt Personen einstellen, die ihnen ähnlich sind - wenn die meisten Manager Männer sind, führt dies zu einem männlich dominierten Team.
Ich bin jedoch überzeugt, dass sich heute Denkweisen ändern, und dass die Branche erhebliche Anstrengungen unternimmt, Frauen als Vorbilder in Führungspositionen zu bringen. Zum Beispiel hat der Verband für den öffentlichen Verkehr UITP in diesem Jahr eine Charta für diverse Panels eingeführt, um mehr Repräsentation von Frauen in Panels und Konferenzen zu schaffen.
FAIRTIQ: Warum würden Sie Frauen ermutigen, eine Karriere im Technologie- und Mobilitätssektor zu starten?
Sarah Collard: Der Technologie- und Mobilitätssektor entwickelt sich schnell und schafft viele Möglichkeiten für Frauen, in Führungspositionen einzusteigen und die Branche zu prägen. Zurzeit verändert die Digitalisierung den Mobilitätssektor enorm. Ein Wandel findet statt und es ist eine spannende Zeit, in den Sektor einzusteigen und die Zukunft mitzugestalten. Aufgrund dieser Veränderungen sind die Akteure im ÖPNV sehr offen für Neues, oder merken, dass sie es müssen, um mithalten zu können. Technologieunternehmen wie FAIRTIQ ermöglichen Innovationen einzuführen, kreativ zu sein und bestehende Regeln und Traditionen zu hinterfragen und aufzubrechen. Dies betrifft nicht nur Geschäftsmodelle und Produkte, sondern auch die Art und Weise, wie Unternehmen strukturiert und verwaltet werden.
FAIRTIQ: Wie stellst du dir deine zukünftige Karriere vor?
Sarah Collard: Ich möchte weiter lernen, um eine bessere Führungskraft zu werden, nicht nur bei FAIRTIQ, sondern in der Branche insgesamt. Ich hatte bereits großartige Gelegenheiten, FAIRTIQ als Rednerin oder Moderatorin zu vertreten, und hoffe, dass ich noch mehr Chancen dazu bekomme. Bei FAIRTIQ und als Führungskraft möchte ich ein inspirierendes Vorbild sein, um zu zeigen, dass Menschen in Minderheiten Führungspositionen übernehmen und dazu beitragen können, Veränderungen in konservativen und traditionellen Branchen herbeizuführen.
Nur durch solche Vorbilder können wir für mehr Gleichberechtigung und Vielfalt sorgen.