FAIRTIQ-Blog

Distanzbasierte Tarife: Ein faires Modell für den ÖV der Zukunft

Geschrieben von Martina Windlin | Marketing | 30. September 2025

Zeit für eine neue Gerechtigkeit im Tarifsystem

Der öffentliche Verkehr sollte einfach verständlich und intuitiv nutzbar sein. Eine zentrale Voraussetzung dafür ist ein Tarifsystem, das nachvollziehbar und fair erscheint. Doch in vielen Regionen beruhen die Preisstrukturen noch immer auf zonenbasierten Modellen, die vor Jahrzehnten eingeführt wurden – und längst nicht mehr zu den Erwartungen der Fahrgäste oder den digitalen Ambitionen der Branche passen.

Im Laufe der Zeit sind diese Zonensysteme immer komplexer geworden. Ausnahmen, Sonderregelungen und zusätzliche Ticketarten haben sich angesammelt. Das Ergebnis: Hunderte von Tarifprodukten, die oft mehr verwirren als helfen – besonders für Gelegenheitsfahrende oder Menschen, die in einer neuen Region unterwegs sind.

Für viele Verkehrsunternehmen und Aufgabenträger lautet die zentrale Frage daher nicht mehr ob, sondern wie sie ihr Tarifsystem modernisieren.

Ein distanzbasiertes Preismodell kann hier einen echten Unterschied machen. Es reduziert Komplexität, sorgt für mehr Gerechtigkeit und eröffnet neue Chancen: für höhere Fahrgastzahlen, eine stärkere digitale Nutzung und bessere Einnahmen – mit klarer Ausrichtung auf das, was die Fahrgäste wirklich brauchen.

Zonensysteme – nicht mehr zeitgemäß

Zonentarife mögen in der Vergangenheit praktikabel gewesen sein, doch heute bringen sie viele Herausforderungen mit sich. Besonders Gelegenheitsfahrende oder Menschen, die kurze Strecken zurücklegen und dabei eine Zonengrenze überschreiten, stoßen häufig auf Unklarheiten. Oft sind genau diese Fahrten unverhältnismäßig teuer. Das sorgt für Frust und lässt das Tarifsystem unfair wirken.


Gleiche Strecke, unterschiedlicher Preis: Zonengrenzen spiegeln keine realen Mobilitätsmuster wider.

Hinzu kommt: Eine grundlegende Anpassung der Zonen – ob durch Vereinfachung, Zusammenlegung oder vollständige Abschaffung – ist politisch sensibel und administrativ aufwändig. Solche Reformen ziehen sich oft über Jahre.

Parallel dazu steigen die Erwartungen an digitale Lösungen, einfache Strukturen und transparente Preisgestaltung. Fahrgäste wünschen sich Tarife, die auf einen Blick verständlich und leicht vergleichbar sind, ohne komplizierte Berechnungen. Klassische Tarifpläne und gedruckte Preistabellen wirken im digitalen Alltag zunehmend veraltet.

Einfacher und nachvollziehbarer abrechnen

Das distanzbasierte Tarifsystem bietet eine klare Alternative: Der Preis richtet sich nach der tatsächlich zurückgelegten Strecke und nicht nach Zonengrenzen. In vielen Regionen wird dieses Modell bereits durch Mobile-Pay-as-you-go-Technologie (MPAYG) ermöglicht. Häufig ist auch von „E-Tarif“ oder „Luftlinientarif“ die Rede.

The basic principle is straightforward:

Grundpreis + (Distanz in km * Preis pro km)
Zusätzlich können Preisobergrenzen pro Fahrt, Tag, Woche oder Monat eingeführt werden. Sie schaffen Verlässlichkeit und stellen sicher, dass der ÖPNV für Fahrgäste erschwinglich bleibt.

So entfallen abrupte Preissprünge an künstlichen Grenzen, und der Preis orientiert sich näher am tatsächlichen Wert der Fahrt.

Distanz ist nicht gleich Distanz: zwei Ansätze im Vergleich

Bei der Einführung distanzbasierter Tarife stehen in der Regel zwei Methoden der Distanzberechnung zur Auswahl. Beide verfolgen dasselbe Ziel: ein transparentes und faires Preissystem. Sie unterscheiden sich jedoch darin, wie die Länge einer Fahrt gemessen wird und welche Auswirkungen dies auf die technische Umsetzung hat.

Streckenbasierter Tarif: Preis nach tatsächlich zurückgelegter Strecke

Bei diesem Modell wird der Fahrpreis anhand der tatsächlich gefahrenen Route berechnet. Mithilfe von Standortdaten wie GPS berücksichtigt das System Umstiege, Umwege und auch verschiedene Verkehrsmittel innerhalb einer Fahrt.

Beispiel 1: Die kurze, aber teure Fahrt

Eine Touristin steigt für nur eine Haltestelle in die Straßenbahn ein, ohne zu wissen, dass sie damit eine Zonengrenze überschreitet. Der Zonentarif beträgt 3,90 €, obwohl die Fahrt nur wenige Minuten dauert. 

Im distanzbasierten Modell könnte sie hingegen die gesamte Stadt durchqueren (eine viermal so lange Strecke) für nur 2,10 €.

Distanzbasierte Tarife halten kurze Fahrten erschwinglich

Beispiel 2: Der landschaftliche Umweg

Ein Fahrgast steigt im Tal in den Bus, um in die nächste Stadt zu fahren. Die beiden Orte liegen nur 5 km Luftlinie auseinander, doch die Strecke führt über Hügel und Dörfer und verlängert sich auf 10 km. Im Im streckenbasierten Modell werden die vollen 10 km berechnet, obwohl die direkte Distanz deutlich kürzer wäre. Um die Fairness in solchen Fällen sicherzustellen, können Preisobergrenzen pro Fahrt oder pro Tag eingeführt werden.

Preisobergrenzen sorgen dafür, dass die Tarife fair bleiben

Dieses Modell ist sehr präzise, bildet die erbrachte Leistung ab und lässt sich gut an Fahrgäste kommunizieren. Bei Fahrten mit Umwegen kann es jedoch zu höheren Preisen kommen, die von den Fahrgästen als unfair wahrgenommen werden. Eine klare Kommunikation und die Anwendung von Preisobergrenzen sind entscheidend, um Akzeptanz und Vertrauen zu sichern.

Luftlinientarif: Preis nach direkter Distanz

Das Luftlinienmodell – auch bekannt als Beeline – misst die kürzeste Entfernung zwischen Start- und Zielpunkt, unabhängig von der tatsächlich gefahrenen Route. Für Fahrgäste ist dieses Modell transparent und leicht verständlich.

Beispiel:

Nehmen wir wieder die landschaftliche Strecke: Zwei Haltestellen liegen 5 km Luftlinie auseinander, die Buslinie schlängelt sich jedoch über 10 km durchs Gelände. Der Fahrpreis wird hier mit derselben einfachen Formel nach den 5 km Luftlinie berechnet:

Grundpreis + (Distanz in km * Preis pro km). 

Die Berechnung nach Luftlinie ist einfach zu erklären, schnell konfigurierbar und für Verkehrsunternehmen wesentlich flexibler als ein zonenbasiertes System. Zudem ist es robuster gegenüber Veränderungen im Netzwerk, etwa beim Ausbau neuer Haltestellen.

Darüber hinaus können Anbieter sowohl fahrtenbezogene als auch zeitliche Preisobergrenzen (Tag, Woche, Monat) festlegen, um die Tarife für die Fahrgäste fair zu halten.

Welches Modell passt?

Eine universelle Strategie gibt es nicht. Entscheidend ist, dass die Preislogik als fair, verständlich und konsistent wahrgenommen wird.

In manchen Fällen kann ein hybrider Ansatz den besten Ausgleich schaffen. So setzt beispielsweise die Stadt Aschaffenburg auf zwei komplementäre Tarife: einen pauschalen Zonentarif innerhalb der Stadt und einen distanzbasierten Luftlinientarif für die Region. Wenn beide Tarife greifen, wird automatisch der günstigere berechnet. Das sorgt zugleich für Einfachheit und Gerechtigkeit (mehr dazu in der Fallstudie).

Unabhängig von der konkreten Methode verdeutlichen beide distanzbasierten Modelle den Wandel hin zu kundenzentrierten und digital unterstützten Tarifsystemen. Mit Technologie als Werkzeug, nicht als Hürde.

Schritt für Schritt zum neuen Tarifsystem

Die größte Herausforderung bei der Umstellung vom Zonensystem zu distanzbasierten Tarifen liegt im Übergang. Bestehende Zonentarife und neue distanzbasierte Modelle parallel zu betreiben, mag zunächst praktisch wirken, verursacht jedoch zusätzliche Komplexität – sowohl für Fahrgäste als auch für die Verkehrsunternehmen.

Nachhaltiger ist es, das alte Angebot Schritt für Schritt zu reduzieren und Preisanpassungen so zu gestalten, dass das neue Modell bevorzugt wird. Auf diese Weise lässt sich Akzeptanz schaffen und gleichzeitig Zeit gewinnen, um das System zu optimieren.

Da distanzbasierte Tarife in der Umsetzung flexibel sind, eignen sie sich für eine stufenweise Einführung. Mit den richtigen digitalen Werkzeugen können Betreiber neue Ansätze zunächst lokal testen und verfeinern, bevor sie flächendeckend umgesetzt werden.

 

Blick nach vorn: Distanzbasierte Tarife als strategisches Instrument

Distanzbasierte Tarife sind mehr als nur eine Rechenmethode. Sie eröffnen Verkehrsunternehmen neue strategische Möglichkeiten:

  • Veraltete Tarifstrukturen vereinfachen
  • Transparenz und Vertrauen bei den Fahrgästen stärken
  • Digitale Nutzung fördern, ohne hohe Hardware-Investitionen
  • Faire, skalierbare und zukunftsfähige Modelle entwickeln

Mit Lösungen wie der FAIRTIQ-App lassen sich distanzbasierte Tarife schnell konzipieren, testen und anpassen – ganz ohne große Veränderungen der Infrastruktur. Ob eine Region auf Luftlinienlogik, streckenbasierte Berechnung oder eine Mischform setzt, FAIRTIQ bietet die Flexibilität, ein passendes Modell zu entwickeln.

 

Interesse an distanzbasierten Tarifen für Ihre Region? 💡

Nehmen Sie an unserem Webinar am 22. Oktober teil und erhalten Sie praxisnahe Einblicke, Learnings und Tipps für die Einführung eines eigenen Modells. Es erwarten Sie: 

  • Bianka Bönig, Verkehrsingenieurin und Senior Consultant bei mobilité, zu den Grenzen klassischer Zonentarife und ersten Schritten Richtung eTarif
  • Stefanie Herrmann, Abteilungsleiterin Tarifmanagement beim KVV (Karlsruher Verkehrsverbund), zum Luftlinientarif in der Praxis
  • VGN (Verkehrsverbund Großraum Nürnberg), zum egon-Pilot und seinen Ergebnissen
  • Panel-Diskussion und Live Q&A