Die Amerikaner sprechen von "bicoastal living", wenn sie zwischen der Ost- und der Westküste hin und her reisen. Im November 2020 habe ich begonnen, ein "bikontinentales Leben" zwischen Europa und Nordamerika zu führen, das meiste davon virtuell. Davor waren die Dinge einfacher.
Als ich 1993 das Gefühl hatte, dass die Schweiz zu klein war (wir durften noch nicht im restlichen Europa arbeiten), zog ich zum Studium nach Kanada. Nach meinem Abschluss beschloss ich, nicht mehr zurückzukehren, lernte meinen Partner kennen, heiratete, wurde 2000 Kanadier und arbeitete die letzten 10 Jahre für eine öffentliche Verkehrsgesellschaft in Toronto.
Als mein Vater schwer erkrankte, wurde mir die Tyrannei der Entfernung schmerzlich bewusst - etwas, worüber mein 19-jähriges Ich nicht viel Zeit zum Nachdenken hatte. Dann kam die Pandemie, und im April 2020 war ich nicht in der Lage, zur Beerdigung meines Vaters zu reisen. Auf der ganzen Welt wiederholte sich die Geschichte - viele von uns hatten immer damit gerechnet, in ein Flugzeug springen zu können. Auf Facebook fanden Tausende von Auslandschweizer:innen zueinander und bildeten lebendige Online-Gemeinschaften, in denen sie ihre Erfahrungen mit dem Gefühl des Gestrandetseins teilten... und Bilder von ihren Schweizer Gerichten, die sie weit weg von zu Hause nachgekocht hatten. Im November 2020 änderte sich mein Leben, als ich FAIRTIQ beitrat. Jeden Tag neige ich dazu, den Tag "in der Schweiz" oder im übrigen Europa zu beginnen, als ob ich dort wäre. Am Nachmittag richtet sich meine Aufmerksamkeit dann auf Nordamerika. Erst im Sommer 2021 habe ich meine Kolleginnen und Kollegen kennengelernt, abgesehen von unserem Gründer und CEO, den ich auf einer Konferenz und in Bern getroffen habe.
Ich habe nun das Glück, an der Erkundung des nordamerikanischen Marktes - mit seinen einzigartigen Merkmalen - sowie an der Unterstützung unserer Expansion in Europa und sogar darüber hinaus zu arbeiten. Es ist eine einzigartige Erfahrung, von Land zu Land zu springen, ohne meinen Stuhl zu verlassen, Ideen auf Französisch zu diskutieren und dabei auf ein englisches Dokument zu verweisen, Referenzdokumente auf Deutsch zu durchforsten oder die portugiesischen Nachrichten zu lesen, um die neuesten Entwicklungen dort zu verstehen.
Es bedeutet auch, dass ich auf dem Stuhl sitzend andere Arbeitsgewohnheiten antreffe, als wenn ich für eine lokale Regierungsbehörde arbeite. Erstens die Betonung der Work-Life-Balance, da viele meiner Kolleginnen und Kollegen vier Tage pro Woche arbeiten (in Kanada gibt es dieses Konzept kaum) und ohne mit der Wimper zu zucken ehrliches Feedback geben, was in Kanada nicht üblich ist.
Glücklicherweise bin ich in meinem Home office nicht gefangen. Trotz aller digitalen Hilfsmittel, die uns zur Verfügung stehen, sind persönliche Treffen immer noch der beste Weg, um zu debattieren, zu überzeugen und zu gestalten - sowohl mit öffentlichen Verkehrsbetrieben als auch mit Kolleginnen und Kollegen. Deshalb verlasse ich manchmal meinen Stuhl, um an Konferenzen teilzunehmen, Kund:innen zu besuchen und mit Teamkolleg:innen die Zukunft zu gestalten. Der letzte Monat hat mich in vier Länder mit vier Sprachen und vier Versionen des Frühlings geführt, und obwohl ich jetzt zu Hause bin, ist die Bürotür nie wirklich geschlossen. Ich reise jeden Tag von meinem Home office aus, in die Welt.