Im folgenden Interview sprechen wir mit Monika Moritz, stellvertretender Geschäftsführerin im Tarifverbund A-Welle und dem verantwortlichen Projektteam von FAIRTIQ: Luise Rohland, Maurice Rapin und João Silva.
Im Aargauer und Solothurner Tarifverbund A-Welle in der nördlichen Schweiz startet FAIRTIQ ab September 2021 in das allererste Monats-Capping-Projekt. Dabei werden die monatlichen Ausgaben der ÖV-Nutzer:innen im A-Welle Gebiet je Zone begrenzt.
Der sechsmonatige Markttest soll aufzeigen, dass ein Monats-Capping nicht gleich Einkommenseinbuße bedeutet. Die gewonnene Flexibilität und Sicherheit bezüglich Ausgaben kommt heutigen Kund:innenbedürfnissen entgegen und soll so Vielfahrer:innen und Gelegenheitsnutzer:innen zur Mehrnutzung des ÖV-Angebots motivieren.
Finden Sie hier mehr Informationen zu Markttests und Marktanalysen, die in Zusammenarbeit mit FAIRTIQ möglich sind.
Im Folgenden lesen Sie das Interview mit allen Projektverantwortlichen. Unser FAIRTIQ-Projektteam stellt kurz den Hintergrund des Monats-Cappings vor und Frau Moritz des A-Welle Tarifverbunds berichtet über den Projektverlauf, Argumente für und gegen das Montas-Capping, sowie die Erwartungen an das Projekt mit FAIRTIQ.
Was genau ist das Monats-Capping?
João Silva:
Das Capping grenzt die monatlichen Ausgaben unserer Nutzer:innen im A-Welle Gebiet ein. Kund:innen haben die Möglichkeit, Einzeltickets zu kaufen, bis eine bestimmte Grenze - das Cap - erreicht ist. Ab dieser Grenze haben sie “freie Fahrt”. In der FAIRTIQ-App ist das heute schon auf Tagesbasis so - unsere Nutzer:innen zahlen maximal den Preis einer Tageskarte. Während des Monats-Cappings der A-Welle wird nun auch auf Monatsbasis “gecapped”, es gibt also auch eine Grenze für die Ausgaben über den gesamten Monat hinweg (mehr Informationen dazu hier).
Wie wirkt sich das Capping auf den Umsatz von Transportunternehmen aus?
Maurice Rapin:
Capping hat zum Ziel, ÖV-Kund:innen mehr Flexibilität zu bieten. Das gesamte Angebot soll so attraktiver werden und neue Kund:innen vom ÖV überzeugen. Zusätzlich möchten wir bestehende Kund:innen durch die Begrenzung der monatlichen Ausgaben motivieren, den ÖV noch mehr zu nutzen als bisher. Aus Befragungen lässt sich schätzen, dass eine solche Flexibilitätssteigerung das Potenzial hat, ÖV-Konsum und so den Umsatz zu steigern. Dieses Projekt dient als Test um Daten zu schaffen die zeigen, ob eine Steigerung der ÖV-Nutzung sich auch in der Realität tatsächlich abzeichnet.
Welche Rolle hat FAIRTIQ im A-Welle-Projekt?
Luise Rohland:
FAIRTIQ ist in alle Schritte des Projekts involviert. Die FAIRTIQ-App selbst macht es ja erst möglich, eine solche Optimierung im Nachhinein umzusetzen. Zusätzlich haben wir die Datengrundlage zur Verfügung, die finanziellen Auswirkungen eines Cappings so gut wie möglich zu schätzen und im Nachhinein dann zu sehen, wie ein Monats-Capping sich wirklich auswirkt. Außerdem sind wir aktiv in der Kommunikation mit den FAIRTIQ-Nutzer:innen im A-Welle Verbund beteiligt.
Wie kam es zu der Entscheidung ab September 2021 ein Monats-Capping in Ihrem Tarifverbund einzuführen?
Monika Moritz:
Der Tarifverbund A-Welle geht seit Frühjahr 2020 davon aus, dass die Pandemie das Potential hat, viele Gewohnheiten im Leben unserer Kundinnen und Kunden nachhaltig zu verändern, sodass logischerweise auch das Mobilitätsverhalten davon betroffen sein wird. Nur wie diese Veränderung in der Mobilität genau aussieht, verstehen wir heute nur in ihren Tendenzen, aber zu wenig im Detail. Die Technologie des automatischen Ticketings, wie die der FAIRTIQ-App, hilft uns diese neue Mobilität schneller zu verstehen - unmittelbar und ohne kostenintensive Marktforschungsstudien.
Die Chance aber auch die Notwendigkeit, den Tarifverbund A-Welle und den Schweizer ÖV in diesen bewegten Zeiten mitzubewegen, haben unsere Entscheidungsträger (allen voran die Kantone Aargau und Solothurn) erkannt. Die Idee, einen befristeten Markttest durchzuführen, wurde konkretisiert, durchgerechnet und umgesetzt.
Unserer ÖV-Kundinnen und Kunden reisen tendenziell an weniger Tagen im Monat als vorher und sind flexibler unterwegs. Viele haben ihr Abonnement nicht mehr verlängert, weil sie davon ausgehen, dieses aktuell nicht auszufahren. Folglich können sie ihre Mobilitätskosten weniger gut abschätzen. Hier entsteht ein Kund:innenbedürfnis, an das wir anknüpfen. So flexibel wie die Monatsagenda unserer Kund:innen, so flexibel ist neu auch das Angebot unseres Monats-Cappings. Unsere Kund:innen reisen und wir berechnen und deckeln die Kosten ihres monatlichen ÖV-Konsums im gesamten A-Welle Gebiet.
Warum haben Sie die Zusammenarbeit mit FAIRTIQ gewählt?
Monika Moritz:
FAIRTIQ ist eine wendige, ÖV-kundige und innovative Unternehmung. Den straffen Fahrplan von der ersten Idee bis zum Marktteststart haben wir unseren mutigen Entscheidungsträger:innen und FAIRTIQ zu verdanken.
Was gab es für Argumente für und gegen das Monats-Capping?
Monika Moritz:
Mit dem Monats-Capping sprechen wir gezielt unsere Monatsabonnent:innen an, die wir seit 2020 verloren haben. Ihr neues Mobilitätsverhalten zu verstehen, ist unser primäres Ziel. Für ein Monats-Capping spricht aber auch klar ein Pull-Effekt, den wir erzeugen: Es entsteht ein Anreiz mehr zu fahren, wenn die Kosten gedeckelt sind. Des Weiteren lenken wir unsere Kund:innen auf digitale Kanäle und fördern so die Digitalisierung. Unsere Abonnent:innen sind heute noch kaum digital unterwegs und nutzen unsere Webshops erst spärlich. Mit gezielten Upselling Mails holen wir unsere treuen Kund:innen in die Abowelt zurück, indem wir ihnen mitteilen, ab wann sich ein Monatsabo wieder für sie lohnt.
Als Gegenargument hören wir häufig den Kannibalisierungseffekt, den ein Capping-Modell haben kann: Kund:innen die sich nicht sicher sind, ihr Abo auszufahren, wandern ab und wechseln durch die Kostengarantie des Cappings auf die FAIRTIQ-App. Diese Bedenken können wir verstehen, beziffern dieses Risiko aber auf Basis repräsentativer ÖV-Umfragen als gering ein. Außerdem ist der Bequemlichkeitsfaktor nicht zu unterschätzen: Mit einem Monatsabo steigen unsere Kund:innen bequem ein und aus. Während bei Fahrten mit der FAIRTIQ-App sie nicht vergessen dürfen einzuchecken, weil sie sonst ohne gültigen Fahrausweis unterwegs sind. Ein vergessenes Check-out hingegen erkennt die App zumeist und beendet die Fahrt automatisch mit der Smart Stop Funktion.
Warum ist besonders die jetzige Zeit passend dafür, solch’ ein Projekt umzusetzen?
Monika Moritz:
In Zeiten des Umbruchs kann man Vieles bewegen, diesen Schwung wollen wir nutzen!
Was sind Ihre Erwartungen an das Monats-Capping Projekt?
Monika Moritz:
In erster Linie wünschen wir uns viele Erkenntnisse aus dem Markttest, um zu lernen, was unsere Kund:innen wünschen. Wo, wie, wann, wieviel und mit welchem Fahrausweis sind sie unterwegs? Welche Folgen hat das für unser Fahrausweis-Sortiment? Übrigens: alle Kund:innendaten sind und bleiben selbstverständlich anonymisiert!
Zudem wollen wir wissen: Wie verhalten sich die verlorenen Abonnent:innen in Bezug auf unsere Abos: kaufen sie wieder eines mit Hilfe der Kostenkontrolle, die wir ihnen mittels der FAIRTIQ-App bieten? Gewöhnen sich Monatsabonnent:innen an die digitale Welt und lösen sie künftig vermehrt das Abo im Webshop?
Außerdem möchten wir mit dem Monats-Capping einen Beitrag für die Umwelt leisten. Wir hoffen, dass der seit 2020 deutlich gestiegene Strassenverkehrsanteil abnimmt und sich der Modalsplit zugunsten des ÖV erholt. Das sollte dann gleichzeitig mehr ÖV-Konsum generieren, zur Erholung von Umsatz- und Absatz in der A-Welle führen und damit die öffentliche Hand nachhaltig finanziell entlasten.
Wir verlassen uns nicht nur auf die reinen Daten. Zusätzlich befragen wir unsere Kund:innen zum Schluss der Markttestphase. Wir sind gespannt darauf zu erfahren, wie sie dieses Capping-Angebot bewerten (Reiseerlebnis, Kommunikation u.a.).