12 Dezember 2021

Branchen-Interview mit dem Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI

Branchen-Interview mit dem Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI

Branchen-Interview mit dem Fraunhofer-Institut

Das Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI (Fraunhofer IVI) ist eine Einrichtung der Fraunhofer-Gesellschaft zur Förderung der angewandten Forschung e.V. mit Sitz in Dresden.

Torsten Gründel ist Abteilungsleiter für Intelligente Verkehrssysteme am Fraunhofer IVI und beantwortet im folgenden Fragen rund um das Thema Produkt- und Kontrollmodule (PKM). FAIRTIQ und das Fraunhofer IVI arbeiten gemeinsam an Projekten mit PKM wie dem Pilotprojekt in Baden-Württemberg und der FAIRTIQ-Einführung in NRW im Dezember 2021. 



FAIRTIQ: Wenn Sie PKM in einem Satz erklären müssten, wie würden Sie es beschreiben?

Torsten Gründel: 

Tarifmodule nach PKM sind Dateien, die das gesamte Tarifwissen für einen bestimmten Anwendungsfall enthalten – also eine Vielzahl von miteinander verknüpften Daten, Regeln und Algorithmen. Der entsprechende Branchenstandard regelt deren Aufbau und die einheitliche Verarbeitung in Verkaufs- und Kontrollsystemen des öffentlichen Personenverkehrs.

 

FAIRTIQ: Welche Vorteile bietet PKM aus Sicht von Verkehrsunternehmen und Verbünden? Inwiefern verändern sich Prozesse und begünstigen gar die Einführung von neuen flexiblen Tarif Produkten?

Torsten Gründel: 

PKM-Tarifmodule funktionieren nach dem „Baukastenprinzip“: Aus einer Anzahl an tariflichen Fachobjekten werden die jeweils passenden ausgewählt und über frei konfigurierbare Algorithmen zur Gesamtfunktion verbunden. Da die Tarifmodule in jedem Gerät grundsätzlich gleich verarbeitet werden, kann eine so erzeugte Tarifabbildung in vielen Geräten und Systemen eingesetzt werden, ohne den Tarif jedes Mal neu zu implementieren. Gewisse Anpassungen sind zwar meist noch erforderlich; jedoch lassen sich neue, gerade auch flexible Tarifprodukte sehr einfach umsetzen. Die umgebende Geräte- bzw. Systemsoftware muss dafür, aufgrund der standardisierten Verarbeitung, nicht geändert werden.

 

FAIRTIQ: Das Fraunhofer IVI hat mit FAIRTIQ und weiteren Projektpartnern in Baden Württemberg ein erfolgreiches Pilotprojekt durchgeführt welches verbundübergreifende Reisen mit in-/out-Technologie ermöglicht. Wo liegen im Kontext PKM die Herausforderungen und was haben Sie bei der Umsetzung gelernt?

Torsten Gründel: 

Gerade zur in-/out-Technologie passt PKM perfekt: Alle Tarife, die zur Anwendung kommen sollen, können technisch einheitlich verarbeitet werden – in Baden-Württemberg vom landesweiten bwtarif über die jeweiligen Verbundtarife bis hin zu lokal unterschiedlichen Übergangs- und Bestpreisregelungen. Wichtig ist dabei eine einheitliche Datengrundlage, z.B. sollte die Kennzeichnung von Haltestellen, Linien, Verkehrsmitteln möglichst einheitlich sein, andernfalls sind aufwändige Datenzuordnungen erforderlich. Dies ist fast immer eine Herausforderung, wenngleich in Baden-Württemberg und ebenso in der gesamten Branche, diesbezüglich schon einiges auf den Weg gebracht und erreicht wurde.

 

FAIRTIQ:  Nehmen wir an, ein Verbund entscheidet sich dafür, seinen Tarif als PKM umzusetzen. Wie lange dauert es, bis die PKM verwendbar sind? Gibt es hinsichtlich Zeitbedarf Unterschiede zwischen e-Tarifen und klassischen Flächen-Zonentarifen?

Torsten Gründel: 

Das hängt immer auch von der Ausgangslage ab: Gibt es schon vorhandene Tarifdaten, z.B. in lokalen Datenbanken? Wie kann sich der Tarifverantwortliche bei der Klärung fachlicher Fragen personell einbringen? Diese Abstimmungen dauern meist deutlich länger als die eigentliche Umsetzung, die in der Regel nur eine gewisse Anzahl von Personenwochen in Anspruch nimmt. Zu berücksichtigen ist, dass vor der PKM-Umsetzung typischerweise eine Reihe von fachlichen Konzepten zur Anwendung an sich zu klären sind, was zusätzlich Zeit erfordert.

 

FAIRTIQ: PKM scheint sich in Deutschland als «Branchenstandard» für die Abbildung und Pflege von Tarifen durchzusetzen, wie sehen Sie diese Entwicklung? Ist es sogar denkbar, dass der Standard über Deutschland hinaus angewendet werden könnte?

Torsten Gründel: 

Ich begrüße diese Entwicklung sehr, zeigt sie doch, dass die Digitalisierung mittels PKM-Tarifmodulen die Anwendung der zum Teil komplexen Tarife deutlich vereinfachen kann – sowohl für die Tarifverantwortlichen, die Geräte- und Systemhersteller, als auch für die Fahrgäste. Letzteres zeigt sich ja auch in Baden-Württemberg mit einer für die Fahrgäste einheitlichen, tarifübergreifenden Preis- und Produktermittlung. Als Fraunhofer IVI haben wir bei der Entwicklung darauf geachtet, dass PKM technisch auch über Deutschland hinaus einsetzbar ist, da ja auch Systemanbieter wie FAIRTIQ international tätig sind.

 

FAIRTIQ:  In welchen Bereichen sehen Sie die weitere Entwicklung im Kontext Tarife und PKM? Aktuell ist ja mit e-Tarifen und flexiblen Tarifprodukten viel Schwung im Thema!

Torsten Gründel: 

Das stimmt. Die Digitalisierung stellt an den öffentlichen Verkehr ja viele neue Herausforderungen. Verkehrsunternehmen und -verbünde müssen sich darauf personell, organisatorisch und auch fachlich einstellen. Beim Thema PKM kommt es aus meiner Sicht nun darauf an, die Verkehrsunternehmen und -verbünde hier bestmöglich in der Breite der möglichen PKM-Anwendungen zu unterstützen. Von der Preisermittlung in in-/out-Systemen über die vielen anderen Vertriebswege bis hin zur elektronischen Kontrolle. Damit wird es dann auch einfacher als bisher, den Fahrgästen sowohl neuartige als auch tarifübergreifende Angebote zu machen.

 

Vielen Dank Herr Gründel für dieses ausführliche Interview!

 
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